Für den griechischen Philosophen Epikur (341–270 v. Chr.) ist das schöne Leben «gleichbedeutend mit der Vorübung für ein schönes Sterben». Dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem guten Leben und dem guten Sterben, bestätigen auch heutige Ärztinnen und Ärzte: «Die Menschen sterben, wie sie gelebt haben», sagt zum Beispiel Gian Domenico Borasio, der als Palliativmediziner Menschen am Lebensende behandelt und begleitet. Ob jemand gut sterbe, hänge vor allem davon ab, «ob der Sterbende das Gefühl hat, dass sein Leben erfüllt ist», hat auch Borasios Berufskollege Steffen Eychmüller bei der Betreuung seiner Patienten erfahren.  
 

Auch die Sterbenden selbst bestätigen, dass das gute Leben und das gute Sterben verknüpft sind. Die Australierin Bronnie Ware hat von den Sterbenden erfahren, was diese beim Rückblick auf ihr Leben am meisten bedauerten. Darüber hat sie im Jahr 2011 das Buch «5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen» geschrieben. Es wurde zu einem Bestseller und ist in 27 Sprachen übersetzt worden.

 

Die fünf häufigsten Bedauern der Sterbenden sind ihr zufolge:

  1. «Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie es andere von mir erwarteten.»Diese Worte, schreibt Bronnie Ware, habe sie am häufigsten von den Sterbenden gehört: «Sie bedauerten, sich bei der Gestaltung ihres Lebens nicht selbst treu gewesen zu sein.» Die Erkenntnis, nicht sein eigenes Leben geführt zu haben, habe am Lebensende jeweils die grösste Enttäuschung ausgelöst.
  2. «Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.»
    Die Arbeit ist uns enorm wichtig. Wir identifizieren uns mit der Arbeit, sie verschafft uns Ansehen und gibt uns eine Stellung in der Gesellschaft. Wenn wir eine neue Bekanntschaft machen, ist eine der ersten Fragen jene nach der beruflichen Tätigkeit. Dies bestätigen auch Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Der Erwerbsstatus beeinflusst europaweit die Lebenszufriedenheit: Erwerbstätige Personen zeigten sich bei Umfragen zur Lebensqualität zufriedener mit ihrem jetzigen Leben als Erwerbslose. Trotzdem sei die Arbeit neben dem Sterbenmüssen die ungeliebteste aller Tätigkeiten, glaubt die Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer. «Die Arbeit nehmen wir nur in Kauf, damit wir das eigentliche Leben in der sogenannten Freizeit leben können. Die meisten arbeiten für das Geld, dank dem sie Weltmöglichkeiten konsumieren können.» Zu viel Arbeit kann aber auch bedeuten, dass man für die wichtigen Dinge zu wenig Zeit findet. Wer kennt schon jemanden, der bereut, nicht mehr gearbeitet zu haben?
  3. «Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.»
    Viele der heute über 80-Jährigen sprechen wenig über Gefühle. Sie haben gelernt, sie zu verbergen. Man schwieg, wenn man verletzt war, und man zeigte auch Stolz, Freude und Zuneigung nicht. Viele der Sterbenden, die Bronnie Ware begleitete, hatten vor allem um der Harmonie willen ihre Gefühle nicht geäussert.
  4. «Ich wünschte, ich wäre mit meinen Freunden in Kontakt geblieben.»
    Die Freundschaft ist für die meisten Menschen ein wichtiges Thema. Einen «besten Freund» oder eine «beste Freundin» wollen nicht nur Kinder haben, Freundschaften bereichern auch das Leben der Erwachsenen. Sehnt sich nicht jeder nach einem Freund, dem er sich anvertrauen kann und der einen wirklich kennt? Die Freundschaft gehört zum «Notwendigsten im Leben, denn keiner möchte ohne Freunde leben, auch wenn er alle übrigen Güter besässe», wusste schon der grosse griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.). In der Armut sei die Freundschaft der einzige Zufluchtsort, den Jungen helfe sie Fehler zu vermeiden, den Alten Schwächen zu kompensieren und eine helfende Hand zur Seite zu haben. Ausserdem fördere die Freundschaft edle Taten, «denn zwei sind tauglicher zu denken und zu handeln», wusste Aristoteles. Doch Freundschaften über lange Zeit aufrechtzuerhalten, ist oft schwierig: Man ist beruflich ausgelastet, zieht an einen anderen Ort, gründet eine Familie und verliert den Kontakt zueinander.
  5. «Ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, glücklicher zu sein.»
    Wir leben in einer Leistungs- und Konsumgesellschaft, die Arbeit ist uns wichtig, die Freizeit auch. Wir konzentrieren uns oft auf Ziele, die wir noch erreichen wollen, arbeiten auf diese Ziele hin. Viele Patientinnen und Patienten, erzählt Bronnie Ware, waren in ihrem Leben «ergebnisorientiert», wie es eine ihrer Patientinnen nannte. Sie machten ihr Glück vom Ergebnis abhängig. Sie vergassen, dass sie auch glücklich sein dürfen, ohne es sich verdienen zu müssen. «Sie vernachlässigten den gegenwärtigen Moment», erlaubten sich nicht, sich auch zu freuen, ohne eine Leistung vollbracht zu haben, schreibt Bronnie Ware.